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Systematische Entwicklung und prototypische Erprobung von innovativen Marktleistungen (RealLabor)

1. Problemstellung und Zielsetzung

Auf Grundlage von bisherige Forschung lässt sich festhalten, dass zum einen ein transformativer Prozess in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung notwendig ist, an dem alle relevanten Akteure mitwirken, um eine nachhaltige Veränderung in der Gesellschaft bewirken und etablieren zu können und zum anderen Maßnahmen am Point of Sale zur Überwindung der Dskrepanz zwischen Einstellung und entsprechender Haltung ausschlaggebend sein könnten, um diesen Wandel voranzutreiben, da Verbraucher*innen durch ihr Kauf- und Konsumverhalten diesen maßgeblich mitgestalten sollten und auch letztlich mittragen.

Um diesen beiden Erkenntnissen Rechnung zu tragen wurde im Rahmen des SocialLab II-Projektes ein Reallabor konzipiert, organisiert und realisiert. Vor dem Hintergrund der beschriebenen Problematik könnten Reallabore eine geeignete Methode sein, um den transformativen Prozess der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung zu beforschen und zu fördern. Ziel ist es die Methodik eines Reallabors zur systematischen Entwicklung und prototypischen Erprobung von innovativen Marktleistungen für nachhaltigeren Konsum zu nutzen. 

Das durch die Akteure im RealLabor gemeinsam definierte Ziel besteht darin, durch eine Differenzierung  über eine innovative Marketingkonzeption des Kaufverhalten derart zu verändern, dass die Marktanteile der Produkte in Haltungsform (HF) 3 und 4 innerhalb der Projektzeitraums signifikant erhöht werden.

2. Inhalt und Methoden

Das im SocialLab II entwickelte RealLabor bietet einen einzigartigen, innovativen Ansatz, um Marktleistungen und Distributionsnetzwerke unter realen Bedingungen zu entwickeln, mitzugestalten und wissenschaftlich zu begleiten. Bislang gibt es im Forschungsgebiet der gesellschaftlichen Akzeptanz der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung kaum einen vergleichbaren Ansatz der sogenannten partizipativen Open Innovation (Enkel 2018). Das RealLabor, als multidimensionaler Ansatz, kann im Gegensatz zu Experimenten eine realistischere, sozial robuste Aussage über das tatsächliche Feldverhalten der Verbraucher*innen am Point of Sale machen (Nowotny 2000). Dadurch liefert dieses auch Hinweise auf Prozessinnovationen, z.B. bei der Gestaltung von Verkaufsprozessen am Point of Sale. Zudem bietet das RealLabor nicht nur die Möglichkeit Verbraucher*innen in einer bestimmten Situation zu beforschen, sondern auch Veränderungs- und Distributionsprozesse zu begleiten, diese aktiv mitzugestalten sowie die Interaktion einzelner Akteure am Point of Sale zu beobachten. Dabei sollen mittels der Metodik der vorbildorientierten Rekonstruktion und unter Einbezug relevanter gesellschaftlicher Akteure, innovative Marktleistungen unter realen Bedingungen getestet, weiterentwickelt und umfassend validiert werden.

Zur systematischen Entwicklung und prototypischen Erprobung von innovativen Marktleistungen mit Hilfe des RealLabors wurde im Rahmen von SocialLab II der folgende Prozess durchlaufen:

  1. In der Vorbereitung und Planung des RealLabors wurde zunächst eine engagierte Gruppe aus Kernakteuren identifiziert, die gemeinsame Ziele formulierten. Dabei wurden Netzwerke genutzt und etabliert, um Akteure gezielt einzubinden.
  2. Mittels eines Prozess- und Konzeptbenchmarkings und unter Hinzuziehung von Expertise aus der Konsumgüterindustrie wurden zunächst bestehende, erfolgsversprechende Marketingkonzepte für innovative Marktleistungen wissenschaftlich durchdrungen. Diese wurden anschließend anhand des Konzeptes der vorbildorientierten Rekonstruktion zu einem innovativen Gesamtkonzept zusammengefügt.
  3. Diese innovative Gesamtkonzept wurde in iterativen Evaluationsrunden von Akteuren der Wissenschaft, Praxis und Gesellschaft im Hinblick auf seine Marktreife optimiert.
  4. Die Maßnahmen aus dem optimierten Marketingkonzept wurden daraufhin in die Umsetzung gebracht.
  5. Die Zielerreichung durch die Marketingkonzeption und der darin enthaltenen Maßnahmen wird kontinuierlich anhand von quantitativen und qualitativen Daten beobachtet, um Auswirkungen und Entwicklungen zu identifizieren und die Maßnahmen im Hinblick auf die Zielerreichung zu optimieren.

3. Zwischenergebnisse

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das RealLabor eine vielversprechende Methode für die Transformation zur systematischen Entwicklung und prototypischen Erprobung innovativer Marktleistungen für nachhaltigeren Konsum darstellt. Basierend auf den bisherigen Erfahrungen lassen sich die folgenden, ersten Erkenntnisse gewinnen, die zum Gelingen eines Reallabors beitragen könnten:

(1)Infrastruktur des RealLabors: Die gezielte, partizipative Einbindung aller wesentlicher Akteure (Kernakteure, aktiv Beteiligte und punktuell Beteiligte) in der Vorbereitungs- und Planungsphase ist ausschlaggebend für den weiteren Verlauf und damit auch den organisatorischen Erfolg des RealLabors ("Grundsatz der gezielten Partizipation"). Eine besondere Heraus forderung stellt dabei die Integration der Gesellschaft, als zentrales, wichtiges und stark miteinzubeziehendes Element, dar. Dies sollte ebenfalls frühzeitig durch geeignete Methoden berücksichtigt werden. Können wichtige Akteure nicht ganzheitlich integriert werden, sollten hilfsweise Vertretungsgruppen gebildet werden, die durch vertrauenswürdige Institutionen beim Einbringen ihrer Standpunkte unterstützt werden. Zentral sind die Kernakteure, welche die Idee eines Reallabors aufgreifen und ausgestalten sowie einzelne Teilvorhaben umsetzen. Neben den Initiatoren aus der Wissenschaft, war der Lebensmitteleinzelhandel als ein Kernakteur für das RealLabor schnell definiert. So konnte die EDEKA ZENTRALE Siftung & Co. KG für das Projekt gewonnen werden, die zusammen mit der EDEKA Rhein-Ruhr Stiftung & Co. KG als Kernakteur am RealLabor teilnimmt. Um die Gesellschaft als zentrales, wichtiges und stark miteinzubeziehendes Element in das RealLabor aufzunehmen, wurde sich an der Methode des Bürgerrats (engl: Wisdom Council; Nanz und Fritsche 2012) orientiert, um die öffentliche Meinung zu einer Stimme zu bündeln.  Der Verbraucherbeirat des RealLabors besteht aus einer Gruppe von zehn ausgewählten Teilnehmenden, die durch das Institut für Verbraucherwissenschaften (IfV) als Kernakteur moderiert und organisiert werden. Das IfV wird dabei von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen (Verbraucherzentrale NRW) unterstütz, welche ebenfalls als Vertretung für die Verbraucher*innen in die Evaluation- und Austauschprozesse als Verstärkung der gesellschaftlichen Position partizipieren.

(2) Methodische Strukturen: Da die Methodik der Reallabore bis dato kaum stadardisiert ist, sollte bei der strukturierten Erarbeitung der Inhalte des RealLabors auf bereits bekannte Methoden zurückgegriffen werden ("Grundsatz der methodischen Analogie"). Im Rahmen des RealLabors wurde zur Strukturierung der Ziele, Strategien und Maßnahmen eine etablierte Vorgehensweise des entscheidungsorientierten Marketings verwendet, um die Marketingkonzeption zu erarbeiten. Diese können dabei je nach Zielstellung an das RealLabor angepasst oder verfeinert werden. Die Zielstellung des RealLabors sollte dabei zuvor gemeinsam durch die Akteure formuliert werden, die sich dabei auf Augenhöhe begegnen  und ihre Erwartungen klar kommunizieren. Durch die gemeinsam erarbeitete Zielstellung ergibt sich eine strukturgebende Richtung, die darauf folgende Schritte klar definiert. In der Marketingkonzeption sind sich zwei generelle Ansätze beschrieben, die eine unterschiedliche Sichtweise auf Verbraucher*innen einnehmen und insofern unterschiedliche Verbrauchertypen unterstellen:

  • Der "kognitive" Ansatz: Die Verbraucher*innen werden über die landwirtschaftliche Nutztierhaltung transparent aufgeklärt und sollen basierend auf diesen Informationen selbstständig eine Kaufentscheidung treffen.
  • Der "emotionale" Ansatz: Die Verbraucher*innen sollen kognitiv entlastet und bei der Kaufentscheidung durch den Lebensmitteleinzelhändler "an die Hand genommen" werden.

(3) Iterative Evaluationsrunden: Da das RealLabor stets durch die Umwelt sowie unvorhersehbare Ereignisse beeinflusst wird, sind voraussichtlich im Laufe der Umsetzung trotz eines klar definierten Ziels Anpassungen notwendig ("Grundsatz der Hermeneutik"). Daher ist ein guter, konstruktiver und regelmäßiger Austausch zu operativen Aspekten sowie zur methodischen Reflexion zwischen allen beteiligten Akteuren wichtig. Durch diesen kontinuierlichen Austausch wird zudem das Engagement jedes Akteurs gefördert und eine frühzeitige Reaktion auf Probleme ermöglicht. Zwischen den Kernakteuren findet grundsätzlich ein intensiverer Austausch statt, der hauptverantwortlich durch die Projektleitung der wissenschaftlichen Akteure gesteuert wird. In Statusberichten je nach relevanten Ergebnissen werden alle oder nur einzelne Kernakteure von der Projektleitung über einen akuten Abstimmungsbedarf oder zum Informationsaustausch informiert. Ebenfalls wurden und werden in viertel- oder halbjährlichen RealLabor-Treffen relevante Zwischenergebnisse mit den aktiv Mitwirkenden geteilt. Diese Treffen dienen der Projekt- und Maßnahmenevaluation. Laufende Prozesse können so nachgesteuert werden. Vor den RealLabor-Treffen findet die Evaluation separat innerhalb des Verbraucherbeirates statt, sodass deren Meinung durch das IfV als Vertretung in die RealLabor-Treffen eingebracht werden kann.

(4) Umsetzung und Kontrolle: Die Wahl der Standorte für das RealLabor sollte möglichst nach quantifizierbaren Kriterien erfolgen, um eine Ähnlichkeit und Vergleichbarkeit der Standorte zu gewährleisten ("Grundsatz der Redundanz"). Die Zielerreichung sollte dabei kontinuierlich anhand von quantitativen und qualitativen Daten beobachtet werden, um Auswirkungen und Entwicklungen zu identifizieren und die Maßnahmen im Hinblick auf die Zielerreichung zu optimieren. In diesem Zuge müssen geeignete Vergleichsgrößen festgelegt werden, die eine relative Veränderungsbeschreibung ermöglichen, um Effekte der Maßnahmen überhaupt identifizieren zu können ("Grundsatz der Zurechenbarkeit").

Dieser Text ist in Anlehnung an den Beitrag im Journal für Verbrauchschutz und Lebensmittelsicherheit geschrieben (forthcoming). Dort sind die Ergebnisse ausführlich dargestellt.

4. Ansprechpartner

Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

  • Dr. Nadine Gier
  • Regina Harms
  • Prof. Dr. Peter Kenning

5. Beteiligte Partner

INSTET Berlin

Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Universität Göttingen

Zeppelin Universität Friedrichshafen

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